9529,30km – das ist das offizielle Ergebnis an zurückgelegten Kilometern auf unserer Tour rund um die Ostsee. Es war eine ganz außergewöhnliche Reise mit vielen neuen Eindrücken, Erfahrungen, Begegnungen und wohl dem einzigen Ex-NATO Defender der in klassischer Militär-Tarnung kreuz und quer durch Russland gefahren ist.
Gibt es noch ein automobiles Abenteuer im Zeitalter von rollenden vierrädrigen Navigationszentralen mit elektronischen Helferlein wie ESP, Brems-Assistenten und automatischer Einparkhilfe? Die klare Antwort ist „ja“!
Es sollte ein Ausbruch aus der automobilen Monotonie werden, im wahrsten Sinne des Wortes eine Grenzerfahrung durch 10 Länder und über fast 10.000 Kilometer in nur 14 Tagen! Die Herausforderung: Eine Reise ins Ungewisse in einem nahezu schrottreifen mehr als 25 Jahre alten Wagen ohne GPS, Navigation und nur auf klassischen Landstraßen. Tag und Nacht hinter dem Steuer, nur kurze Pausen zum Essen oder um die tausend Eindrücke vom Tag in ein paar Stunden Schlaf zu verarbeiten. Mission Impossible? Keine Ahnung. Als der 25 Jahre alte Landrover Defender von der Royal British Army vor uns steht, wirkt er wie ein Relikt aus der Steinzeit, geradezu archaisch mit seinem matt schwarz-oliven Tarnlook, durch die Zeit gezeichneten Aluminium-Blechkleid und groben Nato-Reifen.
Was hat dieses Gefährt wohl alles schon gesehen? Irak-Krieg, Nord-Irland? Die vielen kleinen Wunden in seiner rauen Hülle sprechen Bände und bergen wohl auch viele Geheimnisse, die wir nie erfahren werden. Eine Legende auf und neben der Straße. Sollte „George“ wie wir unser Gefährt liebevoll taufen, der erste Ex-NATO Militär-Wagen sein, der schon in kurzer Zeit in St. Petersburg, auf dem Newski Prospekt frech durch den Verkehr wuselt? Unerhört und zugleich eine reizvolle Vorstellung. Ist es möglich? Die Ausstattung ist nackt. Nur Blech ein alter 69PS Diesel, ein Lenkrad aus Hartplastik ohne Servo-Unterstützung und karges Gestühl im Innenraum, viele Jahre im staubigen Depot gut abgelagert, ehrlich und ganz ohne modernen Schnickschnack. Wird der Wagen die Reise überstehen? Wir wird es uns ergehen in diesem unterirdischen Komfort? Eine Reise zum eisigen Nordkap und durch die Steppen am Polarkreis und tiefen russischen Wälder zurück nach Hamburg – dem Tor zur Welt.
Uns ist klar dass es eine große Herausforderung wird, wenn uns dieser Ex-MOD Landrover Defender zum Nordkap und danach rund um die Ostsee wieder bis nach Deutschland zurückbringen soll. Der Innenausbau zum rollenden Hotel mit Schlafzimmer, Küche und Werkstatt (für den Fall der Fälle) erfordert strategische Fähigkeiten. Jeder Quadratzentimeter, jede Lücke und jeder Winkel muss perfekt genutzt werden. In fast drei Monaten entsteht so ein Gefährt, das zumindest die Grundanforderungen einer Abenteuerreise „Fahren“, „Essen-Kochen“ und „Schlafen“ erfüllt. Und die Technik? Zuverlässigkeit? Nun ja – was kann man von einem ausgemusterten Militärwagen erwarten? Zu schlecht für den Krieg und gut genug für das Abenteuer. Es ist einen Versuch wert. Nachdem wir den Motor ausgetauscht haben, das Getriebe abgedichtet ist und die vielen losen Schrauben festgezogen sind, scheint nun die Grundlage geschaffen zu sein. Auch wenn sich das Differential nur eine Woche vor der Rallye verabschiedet, soll das kein Hinderungsgrund sein mit ganz viel Optimismus und dem passenden Werkzeug auf die Reise zu gehen.
Die große Freiheit – St. Pauly ruft und lockt: Hier liegt der Startpunkt zur Rallye rund um die Ostsee. Doch schon die Anreise zum Start sollte sich nicht so einfach gestalten wie eigentlich gedacht. Kupplungsschaden. Wenn der Druckpunkt der Kupplung auf dem Bodenblech liegt, ist irgendetwas nicht ganz in Ordnung. In diesem Fall der Kupplungszylinder am Getriebe. Natürlich haben wir Bremsflüssigkeit dabei – man ist ja abenteuer-erfahren. Nur wenn unten alles direkt wieder herausläuft, was man oben einfüllt, nützt alles nichts. Aber wozu braucht man eigentlich eine Kupplung. Mit dem Ziel vor Augen in wenigen Tagen am Nordkap zu stehen, startet die große Reise durch Dänemark und Schweden auf den ersten 500km ohne Kupplung. Etwas Gefühl im Gasfuß und ein leichtes Kratzen im Getriebe und schon schaltet sich der Wagen wie von selbst. Zumindest solange er rollt. In Schweden kommt dann die passende Hilfe: Mit seiner rollenden Werkstatt in Form eines Magirus-Deutz Trucks helfen uns Weltenbummler und Werkstattmeister Alex mit seiner cleveren Azubine Kristina aus der Patsche. Der Kupplungszylinder ist schnell gehont und auf einem Wanderparkplatz ein-, ausgebaut und wieder dicht. Jetzt kann es wirklich losgehen – dem großen Abenteuer steht nach dem Fast-Aus nichts mehr im Wege!
Der milde schwedische Süden empfängt uns mit saftigen, grünen Wiesen, leuchtenden Hyazinthen am Wegesrand der perfekten Straßen. Über Stockholm geht es auf kleinen Nebenstraßen immer weiter in Richtung Norden. Der betagte Diesel unseres Landrover Defender schnurrt vor sich hin und das stetige Surren der Geländereifen begleitet uns auf den nicht enden wollenden, schnurgeraden Straßen entlang der schwedischen Ostseeküste. Eigentlich der passende Zeitpunkt den Autopiloten einzuschalten und sich entspannt zurückzulehnen, nur in einem Ex-Militär Landrover ist alles ein klein wenig anders als in einem „normalen“ Auto. Vorteil: Die fehlende Servolenkung merkt man bei diesen geraden Straßen nicht. Nachteil: Das harte Gestühl drückt nach 16 Stunden fahrt, das Rasseln des Schalthebels und der losen Heckklappe zerrt an den Nerven.
Das Dröhnen der nackten Karosserie wirkt wie ein riesiger Resonanzkörper. Sich zu unterhalten ist angesichts der Lautstärke schwierig also schweigt man und genießt einfach diese endlosen Weiten der atemberaubenden nordischen Landschaft.
Der linke Arm klebt dabei lässig an der Seitenscheibe, oder baumelt einfach aus dem Wagen. Man spürt den milden nordischen Sommer, genießt die wärmenden Sonnenstrahlen auf der Haut und den Fahrtwind in den Haaren. Einfach den Schuh zwischen Mitteltunnel und Gaspedal einklemmen und mit konstanten 80km/h durch die Lande gleiten. So schön ist die Freiheit im Norden.
Nach zwei Tagen geradeaus reicht es, wir biegen links ab in Richtung Inland. Einfach weg von der Küste und mitten rein in die tiefen Wälder Lapplands. Die Tage werden länger und lassen erahnen, dass der Polarkreis nicht mehr weit ist. Fast unbemerkt verändert sich die Vegetation am Straßenrand. Kilometer um Kilometer wird das Gehölz lichter und weicht Sümpfen und weiten Seen. Je näher man Norwegen kommt, umso langsamer wird der Wagen. Oh – es geht bergauf und 2,5 Tonnen Lebendgewicht mit Ausrüstung und fast 200 Litern Diesel an Bord müssen von einem 69PS Saugdiesel erst mal bewältigt werden. Man muss sich das etwa so vorstellen als wolle man den Mond aus der Umlaufbahn der Erde bewegen mit dem Motor eines Haushaltmixers. Unser Defender ist ein Dinosaurier – ein Relikt aus einem längst vergangenen Zeitalter aber durchaus charmant und einzigartig. Daher lässt man sich und dem Wagen Zeit für die Reise und genießt einfach die tausend Eindrücke am Straßenrand. Dieses Abenteuer wäre in einem modernen Wagen total langweilig!
Endlich – der Polarkreis. Wir haben Juni und es wird nachts nicht mehr dunkel! Jetzt wird die Tour zur Selbsterfahrung denn in den letzten Tagen hatten wir jeweils 600-800km in rund 16 Stunden Fahrt täglich auf Landstraßen verbracht. Spätestens jetzt war der Zeitpunkt gekommen, wo man seinen Rhythmus gefunden haben sollte: Morgens um 6 Uhr raus aus dem Schlafsack, schnell eine Tasse Tee auf dem Gaskocher gemacht und dann Butterbrote für den Tag geschmiert und die Thermoskannen befüllt. Gegessen und getrunken wird natürlich beim Fahren, denn nur so kommt man weiter und erfüllt das Tagessoll. Duschen? Naja kostet Zeit. Vielleicht doch lieber noch ein oder zwei Tage warten bis man vielleicht mal wieder an einem See oder einem Rastplatz mit Dusche vorbeikommt. Rasieren? Wozu? Stoppel im Gesicht wärmen und sehen nach Abenteuer aus. Also sehr cool für so eine Reise. Nach 10 Stunden Fahrt ein Stopp und schnell eine Konserve gewärmt. Dann schnell weiter bis man müde wird – oder vielleicht doch nicht, denn es wird ja nicht dunkel.
Dann ist es geschafft und das erste große Highlight der Reise nach Südschweden liegt vor uns. Die Lofoten in Norwegen – jene steil aus dem Atlantik ragende Inselkette, die seit Generationen Seefahrer auf Ihrem Weg ins Eismeer fasziniert. Die Farben sind unbeschreiblich – Strände wie in der Karibik umrahmt mit sanften Pastelltönen des türkisfarbenen Wassers, steile Klippen und nebelumwobene Berge. Diese Landschaft ist grandios. Die Strapazen der letzten Tage sind vergessen. Die Sonne geht nicht mehr unter. Wir sitzen an einem gigantischen Lagerfeuer am Strand, wärmen uns und beobachten den Lauf der Sonne, die sich gegen Mitternacht in einem sanften Bogen in Richtung Horizont bewegt um dann kurz darauf über dem Wasser des Nord-Atlantiks direkt wieder aufzugehen. Was für ein Schauspiel – was für eine schöne Welt – was für ein Abenteuer!
Nach kurzer Verschnaufpause geht es weiter in Richtung Nordkap. Wenn den nördlichsten Punkt des Europäischen Festlands in 5 Tagesetappen erreichen möchte, muss man sich ranhalten.
Nachts um 1 oder 2 Uhr tanken wir irgendwo zwischen den Lofoten, einem riesigen Fjord und einige hundert Kilometer bis zum Nordkap. Neben uns eine Gruppe Harley Fahrer auf einer Ausfahrt – mitten in der Nacht bei hellem Licht wie am Tag. Wie genial ist das denn. Wenn man in Norwegen wohnt, kann man also locker nach Feierabend mit seinen Rocker-Kumpels zur einer Bike Tour aufbrechen weil es ja keine Nacht gibt. Das ist ja fast wie am Wochenende. Müde? Nicht wirklich. Nur irgendwie erschöpft von den ganzen Kilometern und irgendwann fährt man dann doch mal hinter der nächsten Wegbiegung rechts neben die Wälder, kriecht hinten im Landy in seinen Schlafsack und entschwindet binnen Minuten in den Tiefschlaf, um dann 4-6 Stunden später das Schauspiel zu wiederholen.
Ganz großes Kino: Die Landschaft wird immer atemberaubender und zieht an einem Vorbei wie ein Film. Die Rallye wird gleichmäßig, man passt sich dem Rhythmus des Diesels an und befindet sich über Tage hinweg in einem sanften Bewegungszustand, der die Sinne vernebelt durch die Vielzahl der Eindrücke. Es ist eine Art Rausch in den man langsam abgleitet und das Gehirn ist viel zu langsam um alles zu verarbeiten. Erst Tage später wenn man die Aufnahmen und Videos von unterwegs auf seinem Handy entdeckt, wird einem bewusst wo man eigentlich überall gewesen ist.
Und dann liegt das Ziel zum Greifen nah: Morgens waren es noch 1100km bis zum Nordkap. Am Nachmittag dann noch 500km. Wie weit fahren wir noch? Vielleicht noch 200km und dann Pause? Nach 3-4 Stunden sind es dann plötzlich nur noch 300km bis zum Nordkap. Sollte man es wagen und noch ein wenig weiter fahren? Und dann vielleicht noch ein wenig? Irgendwann hört man auf darüber nachzudenken und fährt einfach. Es gibt jetzt keine Wälder mehr. Nur noch Sümpfe. Es beginnt zu schneien, dichter Nebel kommt auf und selbst in der Polarnacht wird es dämmrig. Was für eine trostlose Landschaft. Es sieht aus wie der Vorhof zur Hölle. Sümpfe so weit das Auge reicht, Rentierherden die in geduckter Haltung langsam ihren Kreise ziehen, dichter Schneefall. Die Landschaft ist grau und dreckig. Der braun-schwarze Sumpf, dazwischen Schollen aus Schnee, ein paar Grashalme und verkrüppelte Baumskelette. Als wir die Hochebene verlassen wird das kleine Rinnsal zum reißenden Fluss. Hier also fließt das ganze Wasser aus dem Moor hin. Wenn man anhält und den Motor abstellt ist es gespenstisch still. Man hört die Schneeflocken auf dem Dach und im Hintergrund weit weg das grollen des Flusses. Ansonsten kein einziger Laut. Und wir haben Sommer – es ist hell. Ich wage mir nicht vorzustellen wie es hier ist, wenn es im Winterhalbjahr für mehrere Monate nicht mehr hell wird. Schnell weiter!
Die Uhr zeigt halb zwei nachts und wir haben nur noch 150 Kilometer bis zum Nordkap. Die Welt fiebert mit, denn dank der guten Internetverbindung posten wir gefühlt halbstündig unsere Reiseeindrücke in Richtung Heimat, wo uns unsere Freunde und die Familien gebannt folgen. Die letzten 70 Kilometer zum Nordkap an der Küste entlang können wir nur noch mit 30-40km/h fahren, denn der Wind wächst zum Orkan. Es ist schwer selbst bei diesem Tempo auf der Straße geradeaus zu lenken und jede Böe gibt einen hefigen Schlag von der Seite. Ich bin nicht zimperlich beim Autofahren aber hier hatte ich den Eindruck die heftigen Fallwinde am Küstengebirge und die hochpeitschende Gischt der wilden See könnten uns einfach in das eisige Polarmeer fegen. Was für eine fantastische Kulisse!
Jetzt ist es fast geschafft. Im dichten Nebel nähern wir uns dem Nordkap. Der letzte Außenposten der Zivilisation vor dem Nordpol. Man sieht die Hand nicht vor Augen. Wir steigen aus – suchen nach dem Wahrzeichen des Nordkaps und sehen nichts. Dann taucht er auf. Der eiserne Globus. Wir haben es geschafft. Das ist das Ende der Welt vor dem Nordpol. Der Wind peitscht den Nebel über den nackten Felsen und vor uns liegt das eisige Polarmeer. Kaum zu fassen nach diesen ganzen Strapazen. Wir brauchen ein Foto – zusammen mit „George“ natürlich. Gut das es vier Uhr nachts ist und wir einen Geländewagen haben. Geschickt umfahren wir die Absperrungen und schnurstracks offroad zum Polar-Globus. Jetzt ganz schnell ein Foto in Siegerpose. Was für ein Glücksgefühl. Wir sind tatsächlich da! Dieser geliebte und verfluchte Wagen hat uns hierher gebracht. Wir können es kaum fassen und sind überglücklich. Und dann nichts wie weg: Es ist zu kalt, wir wollen nicht entdeckt werden und einfach nur noch schlafen. Im dichten Nebel- und Schneegestöber suchen wir uns auf einer kargen Klippe neben der Straße einen Schlafplatz. Hinter uns das Polarmeer und weit unter uns ein See. Der Schnee und Regen prasselt horizontal auf unseren Landrover ein und drückt Wasser durch alle Fugen und Ritzen. Uns ist das egal – nach 1100km Landstraße in über 20 Stunden fahrt ist alles egal. Man schläft tief und fest bis zum nächsten Morgen. Durch diese Marathon-Etappe waren wir das erste Team am Nordkap und das mit dem langsamsten Gefährt – jetzt können wir es ruhiger angehen lassen, denn es geht nach Russland, wo die Uhren anders gehen und alles etwas gelassener ist.
Doch bevor wir unseren Fuß auf russischen Boden setzen können, steht Finnland auf dem Programm. Ein Land, an das wir bei Beginn der Reise so gar keine Erwartungen hatten und dann absolut überrascht und verzaubert wurden. Endlose Wälder, endlose Seenlandschaften, weit und breit keine Zivilisation und einfach nur Natur. Die tiefen Wälder Finnlands sind ein Dorado, das die Herzen von Offroad-Fahrern und Rallye-Freunden höher schlagen lässt! Elche, Rentiere, Bären und ganze Schwärme von Mücken sind hier zu finden. Die Seen sind reich an Fisch und binnen kurzer Zeit haben auch ungeübte Angler etwas am Haken. Mit einem zünftigen Lagerfeuer wird das Fisch-BBQ zum abendlichen Ritual. Karelien ist ein schmaler Landstrich im Grenzgebiet von Russland und Finnland. Hier geht es besonders zünftig zu. Städte gibt es keine und in den zumeist sehr kleinen Siedlungen treffen wir auf gastfreundliche und warmherzige Menschen, die sich über den Besuch aus dem anderen Ende von Europa freuen. Der Besuch in einer Finnischen Sauna entspannt die müden Knochen des Reisenden und in den Seen kann man sich denn Staub der Landstraße aus dem Gesicht waschen.
Dann ist der große Moment gekommen: Erste Straßenschilder deuten auf einen kleinen Grenzübergang nach Russland hin. Wo einst der Eiserne Vorhang verlief, ist jetzt ein Grenzbalken und nach den erforderlichen Einreiseregularien steht uns die Welt nach Osten offen!
Mütterchen Russland empfängt uns mit sehr günstigen Preisen für Diesel. Was für eine Wohltat nach den teuren Etappen durch Skandinavien. Hier kostet der Liter Diesel umgerechnet nur 60 Cent und direkt an der ersten Tankstelle füllen wir unsere Vorräte wieder auf. Der Landrover Defender besitzt nur einen relativ kleinen 80 Liter Tank, der gerade mal für 600km ausreicht. Auf den langen Etappen ohne Tankstelle sind daher zusätzliche Tanks unabdingbar. Der Militär Defender hat hierfür seitliche Luken, in die jeweils zwei große Kanister exakt passen. Das ergibt 80 Liter extra als Reserve und damit eine Gesamtreichweite von über 1000km was in diesen Regionen unbedingt notwendig ist.
Kurz hinter der Grenze beginnt der Wilde Osten. Ruinen von irgendwelchen Industrieanlagen und notdürftig geflickte Straßen empfangen uns. Mit jedem Kilometer werden die Schlaglöcher größer und es dauert nicht lange bis sich das Verhältnis umkehrt. Jetzt ist die Straße unbefestigt und nur die Löcher sind noch mit etwas Asphalt oder Steinen ausgebessert. Noch 700km bis „Peter“, wie St. Petersburg liebevoll genannt wird – eine echte Belastungsprobe für Auto und Nerven.
Mit unter 20km/h schaukelt man bei der relativ harten „Heavy Duty“ Federung des Defender von einem Loch ins andere. Bei 40 km/h knallt der Wagen mit voller Wucht in jedes Loch der Schotterpiste. Ich habe irgendwie mal gelesen, dass diese Löcher ab 80 km/h verschwinden und einfach plattgebügelt werden, aber ab 70 wird der Wagen fast unlenkbar und ich fahre freiwillig wieder langsamer. Nach den ersten 100km verlieren wir fast die Hecktür. Die angeschraubten Scharniere haben sich so weit gelockert, dass die Tür nur im Schloss und an zwei Schrauben hängt. Aber wir haben ja unseren Werkzeugkoffer dabei und das ist schnell behoben. Etwas problematischer wird es dann kurz vor Mitternacht bei der Umfahrung des riesigen Ladogasees, der die Ausmaße eines Meeres hat. Die Wegen – man kann wohl nicht mehr von Straßen reden – werden immer schlechter und mitten in irgendwelchen russischen Wäldern verlieren wir fast die Fahrertür des Wagens. Die Scharniere waren schnell wieder festgeschraubt, aber das eigentliche Problem lag bei dem Fahrertürschloss. Es hatte sich in seine Bestandteile aufgelöst und war gebrochen. Was nun? Mit offener Fahrertür weiterfahren? Oder mitten im Wald mit unverschlossenem Wagen übernachten? Wie gefährlich ist so eine Nacht in einem Wald mitten in Russland? Wir binden die Tür einfach kurzerhand mit Draht zu. Sie steht zwar noch einen Spalt auf aber zumindest kommt man von außen nicht mehr ganz so einfach in den Wagen. Von nun an, musste ich bis zum Ende der Reise durch die Beifahrertür aussteigen, was an Grenzen oder bei Polizeikontrollen für sichtliche Verwirrung sorgen sollte.
Nach einer mehr oder weniger unruhigen Nacht, geht es am morgen weiter in Richtung St. Petersburg. Je mehr man sich dieser Stadt nähert, umso dichter wird der Verkehrt, bis er dann in der Innenstadt völlig zum erliegen kommt. Rush-Hour in St. Petersburg – das ist mit einem Defender ohne Servolenkung nicht zu empfehlen. Vor allem wenn man nichts ortskundig ist. Doch dann liegt er vor uns – der prächtige Newski Prospekt mit seinen prunkvollen Gebäuden und Kirchen. Ich denke das ist der erste Ex-NATO Militär Landrover der jemals durch die Straßen von dieser russischen Metropole gerollt ist. Vor der schicken Kulisse wirkt er wie ein Relikt aus einer anderen Welt.
Am der berühmten Borschewaja Ploschad Denkmal auf der Wassiljewski-Insel posieren sogar Gäste einer Hochzeitsgesellschaft vor unserem Gefährt. Wir nehmen uns 2 Tage Zeit für diese besondere Stadt, besuchen Freunde und genießen die Russische Küche. In St. Petersburg schmeckt der Borschtsch ganz besonders gut.
Die Zeit in dieser aufregenden Stadt mitten zur Zeit der legendären blauen Nächte vergeht wie im Flug. Nach zwei Tagen machen wir uns abreisefertig in Richtung Estland wo nahe Tallin ein Camp der besonderen Art auf uns wartet. Wir übernachten in einem Lager aus den landestypischen Tipis, aus Birkenstämmen konstruierte Rundzelte nahe einem Moor-Bach. Wir freuen uns auf ein zünftiges Essen und eine warme Dusche. Das Essen war in der Tat sehr deftig und zur Entspannung suchen wir eine nahegelegene Sauna in einem der Tipis auf. Wir schieben den schweren gewebten Teppich vor dem Eingang weg und trauen unseren Augen kaum. Innen sitzt eine ganze Horde nackter Männer rund um einen Kübel, der mit lauwarmen Wasser gefüllt ist. Auf Kommando springen alle gemeinsam in den Bottich um sich bei der Gluthitze des Feuers abzukühlen. Anschließend schlagen sie sich mit trockenen Birkenzweigen gegenseitig auf den Rücken. Um sich richtig abzukühlen, springt man vor der Hütte einfach in den bräunlich schimmernden Moor-Bach. Ok – das ist also Wellness in Estland. Nach diesem unvergesslichen Tag schlafen wir sicher und zufrieden ein.
Als letztes Highlight auf unserer 14tägigen Reise steuern wir am nächsten Morgen den Berg der Kreuze im Litauischen Šiauliai an. Der Berg liegt etwa 12 Kilometer nördlich der Stadt. Eine schmale Treppe aus Holzbohlen führt auf den kleinen Hügel, der über und über mit Kreuzen von Pilgern übersäht ist. Ein wahrhaft mythischer Ort. Die Wallfahrt erfolgt individuell und ist nicht an Termine gebunden. Natürlich hinterlassen auch wir ein Kreuz – aber nicht aus Holz, sondern aus altem Werkzeug. Was anderes haben wir gerade nicht zur Hand.
Auf dem Rückweg nach Deutschland auf der vorletzten Etappe unserer Reise umfahren wir Kaliningrad – uns ist Masuren mit seiner Landschaft aus tausenden Seen lieber als die erneuten Grenzkontrollen bei der Einreise nach Russland. Bei Gdansk, dem ehemaligen Danzig empfangen uns weite Sandstrände und sommerliches Ostseewetter. Was für ein herrlicher Ort für eine Rast bevor wir den Rückweg entlang der polnischen und deutschen Ostseeküste antreten.
Nach knapp 10.000km haben wir es dann geschafft. An Tag 14 unserer Rundreise laufen wir mit unserem Landrover in den Hafen von St. Pauly in Hamburg ein. Was für eine Reise rund um die Ostee – was für ein Abenteuer. Unser betagter Landrover Defender hat es tatsächlich geschafft uns irgendwie wieder nach Deutschland zu bringen. Man sagt dem Defender nach, dass er wohl nie richtig heile aber auch nie richtig kaputt ist. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen und sorgt für bisweilen unvergessliche Reiseerlebnisse. In jedem anderen Wagen wäre diese Tour wohl eine total andere Reise gewesen.